OPTIMIERUNG





Van Gogh „Ein Paar Schuhe“ Jean-Robert Valentin 2018
Das Pentaptychon versinnbildlicht eine Optimierung, die zum Selbstzweck geworden ist.
Man denke an Fitnesscenter, Schönheits-OPs, perfektes MakeUp, um das optimale Selfie bei Snapchat zu teilen oder regelmäßig einen Instagram-Account zu befüllen. Auch die Herangehensweise, mit der Umsetzung dieses Konzepts nicht bei Null anzufangen, ist bereits Teil der Optimierung. Ausgangspunkt ist eines der Bilder „Ein Paar Schuhe“ von van Gogh.
Wie bei den van Goghschen Schuhen weiß man nicht viel über diese gemalten Schuhe – abgesehen von ein paar Äußerlichkeiten wie dem Firmenlogo und den Vornamen, der ebenfalls an Markenlogos erinnern.
Auch die van Goghschen Schuhe gaben zu ihrer Zeit Rätsel auf und avancierten zu den berühmtesten Schuhen der Kunstwissenschaft. Ganze Heerscharen von Kunsthistorikern übten sich in Deutungskunst – und tun es noch. Unter ihnen auch Martin Heidegger. Seit 1930 hat er sich mit diesem Bild beschäftigt und 1935 einen Vortrag darüber gehalten, was das Bild seiner Meinung nach erzählt.
Die Kunstkritik hielt die Interpretation Heideggers entweder für braun gefärbt oder zu einseitig, weil sie gar nicht auf die Malerei selbst eingegangen ist. Doch gerade die Ausschließlichkeit, mit der sich Heidegger dem Narrativ des Bildes widmet, ist ein Verweis auf die zeitgenössische Kunst. Denn zeitgenössische Kunst bildet nicht ab, sondern erzählt.
Dazu ein Zitat der französischen Soziologin Nathalie Heinich: „Die Erzählung gestattet, das Kunstwerk über das Objekt hinaus auszudehnen, entweder, weil es kein Objekt mehr gibt wie z.B. bei Installationen, konzeptioneller Kunst oder Performances oder weil das Objekt keinen spezifischen Wert hat wie ein Ready-Made, ganz im Gegensatz zur bilderreichen Reproduktion, die den Kontext verkennt, in dem das zeitgenössische Werk seinen Sinn erhält.“
Der Kontext in dieser Arbeit oszilliert zwischen dem kunsthistorischen Rückgriff auf die van Goghschen Schuhe mitsamt dem Narrativ von Heidegger und der in der Fortsetzung des Themas bereits inbegriffenen Optimierung auf der einen Seite und dem Szenario
„Optimierung als Selbstzweck“ auf der anderen.
Es sind Turnschuhe, für die Eltern viel Geld ausgeben. Wobei das Wort Turnschuhe viel zu banal ist. Es sind Sneakers. Sneakers mit Flügeln in schreienden Farben oder metallischglänzend: „JS Wings“ – das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Adidas mit dem Designer Jeremy Scott, den die Vogue den Andy Warhol der Modebranche nennt.
An den Füßen der Kinder sind diese verrückten Ergebnisse eines coolen Kreativdirektors nur ein Teil der vielen Sinnbilder für die Optimierungswünsche der Eltern in Bezug auf ihre Kinder. Eltern wollten schon immer, dass es ihren Kindern mal besser ginge. Aber noch nie haben die Optimierungswünsche der Eltern – übrigens auch an sich selbst – ein solches Ausmaß angenommen. „Harder, faster, better, stronger“ hat die französische Electronic-Band Daft Punk mit den Roboter-Masken bereits 2001 gesungen.
Wie wichtig bei dieser Optimierung die richtigen Schuhe sind und inwieweit sich Kleidung und Persönlichkeit (oder zumindest das Gefühl für die eigene Persönlichkeit) sich gegenseitig bedingen, zeigt das Statement eines Designers zu den JS Wings auf Fashionista – einem Mode-Informationsportal mit mehr als 2,5 Millionen Usern im Monat: „Ich gebe alles dafür, so viel Spaß zu haben wie möglich, und es ist einfach toll, Klamotten zu haben, die diese Mentalität reflektieren. Es ist einfach ein Weg, wie ich meine Persönlichkeit mit Hilfe meiner Kleidung erweitern kann, weil ich eben nicht langweilig bin. Und deshalb soll auch meine Kleidung nicht langweilig sein.“
Das eigene Kind ist natürlich das am wenigsten langweilige, sondern das klügste und einzigartige Kind auf der Welt. Und so klug und einzigartig soll es auch rüber kommen. Am besten in Metallic! Da wird Zukunft auf die Schuhe projiziert und auf die Kinder gleich mit.
Und dank der Flügel ist das Abheben des Nachwuchses gesichert. Da braucht es nicht mal Red Bull.
Doch der Optimierungsversuch beginnt nicht erst bei den Sneakers, sondern bereits beim Namen. Auch er soll kurz sein, damit künftige Chefs ihn gut aussprechen können und nicht nachfragen müssen, wie er geschrieben wird. Er soll einzigartig sein, damit Headhunter ihn im Gedächtnis behalten. Aber wenn in der Schulklasse die Namen „Finn“ oder „Lisa“ aufgerufen werden, stehen ein halbes Dutzend Kinder auf. Würden gar die Markennamen ihrer einzigartigen Schuhe aufgerufen, genügte vermutlich ein Adidas oder Nike, und alle fühlten sich angesprochen.
Das Kind kann den abgefahrensten Namen bekommen, die vermeintlich außergewöhnlichsten Schuhe tragen, es bliebt dasselbe Kind, egal, wo es lebt, in Japan oder Deutschland, in den USA oder in Frankreich.
Die gemalten Schuhe allerdings entsprechen ihren Trägern, sie erzählen deren Geschichte.
Sie sind Porträts mit einem eigenen Narrativ – genau wie die Schuhe von van Gogh. Ein Narrativ mit einem Zukunftsversprechen. Ob das Versprechen eingelöst werden kann, ist einanderes Thema.
Einige der Schuhe des Pentaptychons sind auch unterschiedlich geschnürt – wie bei van Gogh. Einige sind gar kein passendes Paar. Handelt es sich immer um einen rechten und einen linken? Mit Photoshop ist das Spiegeln ein Klacks, und schon wird aus zwei rechten Schuhen ein rechter und ein linker.